13.11.2019

Nora Bossong : Schutzzone

Suhrkamp - ISBN: 978-3-518-42882-5 Preis: 24 Euro


Die Orte des Geschehens sind vielfältig: Genf, New York, Bujumbura, Aachen, um nur einige zu nennen. Hauptfigur in Nora Bossongs neuem Roman „Schutzzone“ ist Mira Weidner, eine junge Frau, der es nicht egal ist, wie es auf der Welt zugeht. Ihre eigene Schutzzone musste sie bereits als Kind aufgeben, die Eltern trennten sich und das Kind sollte rausgehalten werden. So kommt die achtjährige Mira zu einer befreundeten Familie. Der Sohn der Familie ist bereits 16, der Vater von Beruf Diplomat und die Mutter bleibt eher blass im Hintergrund.

Miras Verbindung zum Sohn der Familie wird im Buch zum eigenen „privaten“ Erzählstrang. In dieser Familie, lernt Mira das Prinzip des Helfen Wollens und des Helfen Könnens als Teil der bürgerlichen Moral kennen. Sie studiert Internationale Beziehungen und fängt an, für die Vereinten Nationen zu arbeiten. Sie erlebt die zwei Gesichter der Institution: das sehr bürokratische in New York und das des Krieges in all den Ländern, in die Mira geschickt wird. Unter anderem Burundi und Ruanda, ehemals Teil deutscher Kolonialmacht – „Deutsch-Ostafrika“. Wie auch in Ruanda findet dort ein Bürgerkrieg statt, dessen Ursachen auf den ersten Blick nicht zu erkennen sind. Alle Gräueltaten, die ein Krieg mit sich bringt, finden dort statt: Vergewaltigungen, Massaker und es kämpfen Kindersoldaten.
Die sogenannten Expats  (Expatriate) von UN und NGOs versuchen, den Weg der Vernunft zu beschreiten – und ihre Sicht der Vernunft und des guten Willens durch zu setzen. Und sie scheitern. Während sie in ihren beschützten Base-Camps sitzen und über den Zustand der Welt debattieren und die Vergeblichkeit ihrer Bemühungen verdrängen. Die Worte „Sicherheit“ und „Schutzzone“  werden sowohl von den Expats als auch von der UN benutzt. Vielleicht auch, um der Demütigung des Scheiterns zu entkommen. Mira Weidners bekommt die Aufgabe, eine Wahrheitskommission nach dem Vorbild Südafrikas zu organisieren, um die unterschiedlichen Gruppen im Land zu versöhnen.  Auch dieser Plan scheitert… Mira Weidner hat ein besonderes Talent, Menschen zum Sprechen zu bringen und eignet sich daher besonders gut für die Vorbereitung der Wahrheitskommission. Im Grunde ist schon klar, dass diese Kommission wahrscheinlich nie zustande kommen wird. Dennoch hilft das Sprechen. Die Menschen erzählen ihre Sicht, ihre Perspektive, ihre Erlebnisse weit entfernt von offiziellen Verlautbarungen.
Der Roman zeigt den  postkolonialen - europäischen oder auch deutschen Blick der Menschen, die ins Land kommen auf die Menschen und die Situationen. Und dieser beinhaltet heißt auch: ein nicht Verstehen. Die universelle Durchsetzung der Menschenrechte ist Gründungsauftrag der UN. Dass sich aber der alte koloniale Gedanke immer wieder durchsetzt, wird in diesem Roman nur allzu deutlich. Auch wenn die einzelnen Menschen immer nur das „Beste wollen“ sind Zusammenstöße unvermeidbar. Die Schutzzonen bieten keinen Schutz.

Nora Bossong hat einen eindrucksvollen Roman geschrieben. Ein politisches Buch: facettenreich, anspruchsvoll und wirklichkeitsnah.