24.07.2019

Sommerloch kennen wir nicht


 

Es ist doch erstaunlich, dass wir im ANNABEE Buchladen das ominöse Sommerloch gar nicht kennen. Denn es werden stapelweise Bücher mit in den Urlaub genommen, weil die meisten Ebook-lesen doof finden und das haptische Leseerlebnis vermissen: Warum hat die Autor_in (oder der Verlag) genau dieses Cover gewählt? Wie duftet ein Suhrkamp Taschenbuch im Vergleich zu einem Rowohlt Taschenbuch? Hat nicht auch das Billig-Papier, dass für englischsprachige Bücher verwendet wird seinen Charme und erinnert an kindliche Leseträume wie die Lustigen Taschenbücher, die sich nie richtig aufblättern ließen? Seitendicke, Klappentexte, Hochglanz und Mattigkeit – all das komplettiert den Lesenachmittag auf dem Balkon. Und ist die Literatur nicht doch eher eine Kunstform und nicht (nur) Unterhaltung, wie sich durch die Fadenbindung  der Suhrkamp edition der „Verzeichnis einiger Verluste“ beweisen lässt. Das Knistern der Seite eines Kein & Aber Taschenbuchs, wenn der farbige Schnitt das erste Mal aufgeschlagen wird, lässt die Leser_innenherzen höher schlagen auch wenn der schwache Druck des Schweizer Verlages verwundert.

Der käufliche Erwerb der Urlaubslektüre lässt sich anscheinend nicht immer vermeiden, da die „relevanten“ Bücher in der Stadtbibliothek schon zehn mal vorgemerkt sind und die  geneigte_r Leser_in, alsgleich die eigenen Leseeindrücke mit den Stimmen der taz oder der haz vergleichen möchte.

Erstaunlich ist auch, dass gar nicht so oft nach „leichter“ Sommerlektüre gefragt wird. Oder doch nicht so verwunderlich, da im Urlaub Zeit und Muse besteht, auch einmal kompliziertere Satzkompositionen zu durchdringen und die Lust da ist, tiefer in´s Sujet einzusteigen.

So gehen die Kund_innen in Vorfreude auf den Urlaub mit wilden Mischungen aus dem ANNABEE: die Kombination „Hartmut Rosas Resonanz, Karin Kalisas Sungs Laden, Chimamanda Adichies Americanah plus den neuen Adorno-Text `Aspekte des neuen Rechtsradikalismus`“  ist nichts Ungewöhnliches.

Urlaub? Dann soll es doch ein dünnes Buch sein! Dann muss es extra-dick sein!

Krimi? Ja! Aber nicht zu spannend? Dann vielleicht doch kein Krimi, sondern eine Graphic Novel zum Bildergucken und Lachen so wie Liv Strömquists neuster Comic „I´m every woman“ erschienen im unabhängigen Avant Verlag. Strömquist kombiniert erneut feministische Gesellschaftskritik und Sprachwitz auf´s Erfinderischste.

Hier ein paar Urlaubskombinationen, die ich denjenigen ans Herz lege, die unter leichter Sommerlektüre Reclamhefte und Hamburger Lesehefte verstehen:


Für diejenigen, die auf das Taschenbuch gewartet haben, das 12 Euro kostet:

Colson Whitehead. Underground Railroad.  Fischer.
Lucy Fricke. Töchter. Rowohlt.
Souad Mekhennet. Nur wenn du allein kommst – Eine Reporterin hinter den Fronten des Dschihad. Penguin.

Für diejenigen, die ein dünnes Buch möchten und sich für gesellschaftspolitische Themen interessieren:

Virginie Despentes. King Kong Theorie. Kiepenheuer & Witsch, 10 Euro.
Maxim Biller. Sechs Koffer. Kiepenheuer & Witsch, 19 Euro.
Heinrich Detering. Was heißt hier „wir“? Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten. Reclam 6 Euro.

Für diejenigen, die tief einsteigen wollen, sei es innerpsychologisch oder wissenstechnisch:

Judith Schalansky.  Verzeichnis einiger Verluste. Suhrkamp, 24 Euro.
Hanya Yanagihara. Ein wenig Leben. Piper, 16 Euro.
Masha Gessen. Die Zukunft ist Geschichte. Suhrkamp, 26 Euro.

Für das queere Herz samt Höhenflügen und Abstürzen des Begehrens:

Ocean Vuong. Auf Erden sind wir kurz grandios. Hanser, 22 Euro.
Rupert Thomson. Never anyone but you. Secession, 26 Euro.
Leila Slimani. All das zu verlieren, Luchterhand, 22 Euro.
Sally Rooney. Gespräche mit Freunden, Luchterhand, 20 Euro.

Für Leute, die lieber Autobiographisches lesen - aus einer feministischen Perspektive:

Caroline Rosales. Sexuell verfügbar. Ullstein, 18 Euro.
Roxane Gay. Hunger. btb, 20 Euro.

Schöne Ferien!