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Die Vergangenheit beeinflusse immer die Gegenwart, verkündet der Lyriker und politische Publizist Max Czollek in seinem neuen Buch „Gegenwartsbewältigung“. Schon in „Desintegriert Euch“ (2018) warnte er, dass Deutschland sich seinem aufstrebendem Antisemitismus und Rassismus nicht stelle. Einleuchtend argumentierte er, dass es für viele gar nicht erstrebenswert sei, da rein passen zu wollen - in die deutsche Dominanzkultur - und rief dazu auf, das eigene Anderssein zu feiern, nur so könne Deutschland zu einer wahrhaft pluralistischen Gesellschaft werden.
In „Gegenwartsbewältigung“ nun beleuchtet Czollek viele politischen Debatten der letzten zwei Jahre: von dem rassistischen Terror in Hanau bis zur Corona-Krise und knüpft an seine Überlegungen aus „Desintegriert Euch“ an. Er schreibt über das Konzept der „radikalen Vielfalt“, das der Bedrohung durch die völkische Rechte (AFD etc.) etwas entgegensetzen will. „Radikale Vielfalt“ bedeute, Unterschiedlichkeit nicht als Problem zu deuten, sondern als Grundlage einer pluralen Gesellschaft und der Demokratie anzuerkennen.
In dem Titel „Gegenwartsbewältigung“ klingt der geläufigere Begriff „Vergangenheitsbewältigung“ an. Czollek will damit klar machen, dass die Dämonen der Deutschen (völkisches Denken, Überhöhung der eigenen kulturellen Leistungen) auch heute noch bekämpft werden müssen und liefert eine Kritik an dem Konzept der „Leitkultur“ als dominantem Zentrum, was entscheidet, wer dazugehört und wer nicht.
Czollek kritisiert darüber hinaus die Instrumentalisierung von Juden und Jüdinnen für diese konservative Position der deutschen Leitkultur wie durch Philipp Amthor (CDU) geschehen, der antisemitische Muslim_innen dazu aufrief, sich an die deutsche Kultur anzupassen. Diesen Appell Amthors kritisiert Czollek als heuchlerisch, da de facto kein genügender Schutz von Jüdinnen und Juden in Deutschland stattfände. Gestärkt würde durch die Leitkultur-Idee nur ein Grundgedanke der bürgerlichen Mitte, wo links und rechts gleichweit von dieser Mitte entfernt seien (sogenanntes Hufeisenmodell).
Czollek offenbart in „Gegenwartsbewältigung“ letztendlich seine Utopie einer Gesellschaft in der alle Menschen ohne Angst verschieden sein können. Das Interessante daran ist, dass er mit seinen politischen Analysen gleich neue Wortkreationen mitliefert wie „Gegenwartsbewältigung“, „Integrationstheater“ und polemisch „jüdisch-muslimische Leitkultur“ und so zu Gehirnjogging und Perspektivwechsel anregt.
Diese Verbindung seiner künstlerischen Sichtweise als Lyriker und Wortakrobat mit seinem politikwissenschaftlichen Blick – er hat am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin promoviert – , macht die Lektüre seines neuen Buches so spannend.