08.05.2018

Johann Scheerer: Wir sind dann wohl die Angehörigen - Die Geschichte einer Entführung

Piper Verlag - ISBN 978349205901 - Preis: 20,00


Johann Scheerer, Sohn von Jan-Philipp Reemtsma und Ahn-Kathrin Scheerer, 1982 geboren, erzählt die Entführungsgeschichte seines Vaters. Entführt wurde er 1996, 33 Tage in einem Kellerloch festgehalten, sein Sohn damals 13 Jahre alt. Bisher gab es ein Buch von Jan-Philipp Reemtsma „Im Keller“, das war eine Perspektive. Jetzt fügt Johann Scheerer eine andere hinzu. Zwei Stränge hat der Text, zum einen die Entführung selber, die „polizeiliche Einnahme“ des privaten Hauses. Zum anderen die Situation des Jungen, der sich eigentlich gerade im Ablösungsprozess befindet. Die Spannung des Buches entsteht auch dadurch, dass der Sohn nicht immer alles mitbekommt, was verhandelt wird. Was er sehr wohl begreift: er passieren sehr viele Fehler auf Seiten der Polizei. Unter anderem sieht die Dublette des Autos, in welchem die Geldübergabe stattfinden soll, komplett anders aus. Johann Scheerer geht in dieser Zeit nicht zur Schule – das ist im ersten Moment eine Erleichterung, wird aber schon bald zur Falle. Kein Kontakt zu seinen Mitschüler, er sitzt im Kokon. Manchmal wird er der Protagonist der besonderen Betreuung durch die Polizei – Angehörigenbetreung. Das schlechte Gewissen, nicht angemessen traurig zu sein, die Angst, der Vater könnte bereits tot sein und die quälende Langeweile dieser Tage – diese Konflikte begleiten ihn die ganze Zeit. Johann Scheerer hat eine klare, sachliche Sprache. Sentimentalität taucht manchmal als Irritation auf. Etwa dann, wenn sie Nachricht vom Vater erhalten, die in seltener Art emotional sind. Es gibt Einblicke in eine Situation, die sich niemand vorstellen kann und nur wenige erleben. Vielleicht ist auch der Voyeurismus ein Aspekt des Erfolgs: die Familie ist in der Lage, zweimal ein exorbitantes Lösegeld zur Verfügung zu stellen. Wie geht es zu in solch einer Familie. Der Sohn öffnet auch ein Stück dieser Tür. Ein spannendes, fesselndes Buch.